[Rezension] Lee, Hyeonseo: Schwarze Magnolie. Ein Bericht aus der Hölle

Details:
Autoren: Hyeonseo Lee mit David John | Originaltitel: The Girl with seven Names – A North Korean Defector’s Story | übersetzt von Elisabeth Schmalen, Merle Taeger und Katharina Uhlig | Genre: Biographie | Reihe: – | Gattung: Sachbuch | Verlag: Heyne ( 2015 ) | Seiten: 415

Schwarze Magnolie von Hyeonseo LeeJahrelang war Hyeonseo Lee auf der Flucht vor ihren eigenen Landsleuten und denen, die sie zurück in ihr Heimatland schicken wollten. Die junge Frau wuchs in Nordkorea auf und erlebte das strikte System aus Überwachung, Kontrolle und Sanktionen als normalen Alltag. Als junges Mädchen macht sie den Fehler heimlich über die Grenze nach China zu gehen, um Verwandte zu besuchen. Eine Rückkehr ist ausgeschlossen, denn ihr Verschwinden wurde bereits entdeckt.

Hyeonseo Lee ist nicht ihr richtiger Name, sondern der Name, den sie sich nach 10 Jahren Flucht bei ihrer Ankunft in Südkorea, ihrer neuen Heimat gegeben hat. In Schwarze Magnolie berichtet sie nicht nur über ihre Kindheit und Jugend in diesem völlig von der Außenwelt abgeschotteten Land, sondern auch über ihre jahrelange Flucht, die Angst vor Entdeckung, die Einsamkeit und über den Mut, den es braucht, um durchzuhalten und sogar ihre Familie aus den Fängen einer Schreckensherrschaft zu befreien.

Totale Kontrolle – totale Überwachung

Mit sieben Jahren wird Hyeonseo zum ersten Mal Zeugin einer öffentlichen Hinrichtung. In unwürdigen und unfairen Prozessen auf offener Straße werden Menschen, die als landesfeindlich eingestuft wurden, vorgeführt, verurteilt und sofort hingerichtet. Die Zuschauermenge schweigt, genauso wie Hyeonseos Eltern, die wissen, dass ein falsches Wort oder ein falscher Blick die Aufmerksamkeit der Staatsmacht auf sie lenken und ihnen das Leben zur Hölle machen kann. Die Regierung kontrolliert und überwacht ihr eigenes Volk. Sie bestraft jeden der dagegen verstößt oder den Verstoß eines anderen geheim hält. Durch die ständige Angst der Denunziation herrscht in der nordkoreanischen Gesellschaft ein ausgeprägtes Schweigesystem. Jeder könnte ein Spitzel sein und sogar vor den eigenen Kindern muss man sich als Erwachsener in Acht nehmen, die ahnungslos eine scheinbare Kleinigkeit ausplaudern könnten und damit das songbun der ganzen Familie herabsetzen und ihre Eltern zu Zielpersonen des staatlichen Überwachungssystems machen.

Hyeonseos Familie besitzt ein gewisses Ansehen in der Gesellschaft, denn ihr songbun ist hoch. Songbun ist Nordkoreas Kastensystem, welches durch Heirat ebenso schnell fallen wie aufsteigen kann. So gibt es in Hyeonseos naher Verwandtschaft nicht nur Mitglieder mit hohem songbun, sondern auch Menschen, die um ihre Existenz bangen. Je mehr Freundschaften man pflegt, desto wahrscheinlicher ist, dass man von einem dieser Freunde eines Tages verraten wird. In Nordkorea trägt jeder eine Maske, verstellt sich und zeigt sein wahres Ich kaum einer anderen Person. Der Überlebensinstinkt zwingt die Gesellschaft dazu, eine regimetreue Maske zu tragen, selbst in den eigenen vier Wänden, die ständiger Überwachung ausgesetzt sind. Die Regierungschefs werden zu Göttern erhoben und sogar deren Bildnisse, die in jedem Haushalt hängen, müssen mit allergrößtem Respekt behandelt werden. Die Armut der Bevölkerung wird dagegen immer größer und nur diejenigen überleben, die außerhalb der staatlichen Versorgungspolitik – die immer wieder zusammenbricht – auf dem Schwarzmarkt handeln.

Über den Kampf um Individualität und Freiheit

Hyeonseo erzählt in Schwarze Magnolie unter Decknamen von ihren Familienverhältnissen, über ihre Kindheit, als sie noch blauäugig Regimelieder sang, ihre Jugend als sie aufmüpfig wurde und sie erlebte, wie kleine Vergehen eine ganze Familie in den Ruin treiben konnten und ihre Flucht aus Nordkorea, die unfreiwillig begann und die sie zu einer starken Frau gemacht hat, die trotz aller Rückschläge um ihre Freiheit kämpft.

Schwarze Magnolie beschreibt ein Land, wie wir es uns in der westlichen Kultur nicht ansatzweise vorstellen können. Ein Spitzelsystem kontrolliert die Bevölkerung, verhindert revolutionäres Gedankengut und wer es doch wagt, sich zu sehr gegen die Regierung aufzulehnen – allein durch den Besitz illegaler Konsumgüter aus dem Westen – wird mit Gewalt gebrochen. Bestechung ist Alltag, um zu verhindern, dass das eigene songbun herabgesetzt und Vergehen im Pass notiert werden.

Hyesan, der Heimartort der Autorin, liegt direkt an der Grenze zu China und ist deshalb ein Umschlagplatz für chinesische Schmuggelware. Der Schwarzmarkt boomt und diejenigen, die schlau genug sind, um sich mit illegalem Handel über Wasser zu halten, können einigermaßen gut leben, solange sie nicht entdeckt werden. Die staatliche Regulierung der Lebensmittel bricht immer wieder zusammen und die Bevölkerung hungert und stirbt.

Nachdem ihr Leben in Nordkorea endet, als sie die Grenze ihres Heimatlandes nach China überschreitet, beginnt ein Leben in Einsamkeit für Hyeonseo. Sie nimmt einen neuen Namen an und lernt perfekt Mandarin, um als echte Chinesin durchzugehen. Einen Pass hat sie nicht und sollte die Polizei sie erwischen, wird sie sofort nach Nordkorea zurückgeschickt. Hyeonseo lebt im Untergrund, arbeitet als Kellnerin und versucht so wenig Aufmerksamkeit zu erregen, wie nur möglich. Überall lauern Spitzel, Freundschaften hat sie kaum und wenn, dann kann sie diesen Menschen niemals ihre wahre Identität verraten. Kontakt zu ihrer Familie hat sie kaum und jahrelang weiß sie nicht, ob ihre Mutter und ihr Bruder überhaupt noch leben.

Der Weg, den diese Frau ging, ist ein Weg voller Entbehrungen, Selbstzweifel und Angst. Hyeonseo lernt sich durchzuschlagen, hat neben all dem Pech aber auch das Glück auf ihrer Seite und trifft gute Menschen, die sie unterstützen. Schwarze Magnolie hat mich tief beeindruckt, aber auch schockiert. Es zeigt, wie ein Netz aus Lügen, die nordkoreanische Bevölkerung aufhetzt gegen die gefährliche und falsche Außenwelt. Die Menschen werden klein gehalten, ihnen wird kaum genug zum Leben gegeben und so kämpft jeder um’s Überleben, für mehr bleibt keine Kraft. Hyeonseo Lees Erzählstimme ist sanft aber kraftvoll. Sie liebt Nordkorea sehr, trotz all der Widrigkeiten und Gefahren, die dort auf sie warten, bleibt es ihr Heimatland. Schwarze Magnolie ist deshalb auch ein Buch über die Suche nach einer neuen Heimat und nach ihrer eigenen Identität, die sie auf dem Weg der Flucht verloren hat. Ihr gesamtes Leben hat sich als Lüge herausgestellt und sie musste stückchenweise eine neue Welt aufbauen.

Ein Kommentar

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