[Rezension] King, Lily: Euphoria

Details:
Autorin: Lily King | Originaltitel: Euphoria | übersetzt von Sabine Roth | Genre: Gegenwartsliteratur | Reihe: – | Gattung: Roman | Verlag: C. H. Beck ( 2015 ) | Seiten: 262

Euphoria von Lily KingMitten in Neuginea, Anfang der 1930er Jahre arbeitet die junge und bereits berühmte, aber auch umstrittene Ethnologin Nell Stone und ihr Ehemann Fen daran, die Stämme im Landesinneren zu erforschen. Eigentliches Ziel der beiden sind die Stämme am Sepik, dem Fluss, der quer durch Neuginea führt, doch dort hat sich bereits der Anthropologe Andrew Bankson niedergelassen und erforscht die Kiona. Als die drei Forscher aufeinandertreffen werden die Erwartungen beider Seiten komplett über den Haufen geworfen. Faszination und Bewunderung, Missgunst, Neid und Freundschaft sowie Liebe vermischen sich in den Tiefen der Urwälder entlang des Sepiks miteinander.

Eine Begegnung, die alles verändert

Andrew Bankson ist am Tiefpunkt seines Lebens angelangt. Nach einem missglückten Selbstmordversuch im Sepik, landet er an Heiligabend 1931 mitten unter der westlichen Gesellschaft, um ein Fest zu zelebrieren, das in seinem Alltag bei den Kiona keine Rolle spielt. Dort trifft er zu seinem Glück auf Nell und Fen. Sofort ist der verzweifelte Mann von der zarten Frau fasziniert, die überall Schrammen aufzuweisen hat, deren Malariafieber ihr zu schaffen macht und die mit einem gebrochenen Fuß, der kaum medizinisch behandelt wurde, durch die Gegend humpelt. Er ist erschrocken über Nell Stones Zustand und zugleich voller Bewunderung für die Frau, die sich nicht beklagt, zurückhaltend ist und deren Intelligenz sich in jedem Wort und jedem Blick deutlich präsentiert.

Bankson vergisst seine Selbstmordgedanken. Das Anthropologen-Ehepaar fasziniert ihn zunehmen und er überzeugt sie, dass der Sepik nicht ihm gehört und dort noch viele weitere indigene Stämme angesiedelt sind, derer sich das Ehepaar annehmen kann. Sie verzichten auf ihre Weiterreise nach Australien und wenden sich den Tam zu, einem Volk, das sieben Stunden Bootsfahrt von „Banksons Kiona“ entfernt lebt. Es zerreißt Bankson innerlich beinahe so weit von seinen neuen Freunden entfernt zu sein und doch gibt er seinen neu gewonnenen Lebensmut nicht auf. Er ist erschüttert darüber, wie scheinbar gelassen Nell die Ignoranz ihres Ehemannes erträgt und doch beneidet er die beiden, nicht allein im Dschungel den eigenen Forschungen erlegen zu sein. Er steckt fest und findet zu seinem Stamm, bei dem er schon seit Jahren wohnt, keinen Zugang. Seine Beobachtungen führen zu keinem Ergebnis; er hinterfragt seine Existenz und den Sinn darin, was er tut.

In der Zusammenarbeit mit Nell und Fen lernt er neue Forschungstechniken kennen, die ihn ebenso verblüffen wie begeistern. Eine immer engere Beziehung baut sich zwischen den dreien auf, zarte Bande werden geknüpft, die durch Ängste, Neid und Misstrauen immer wieder kurz vor dem Zerreißen sind.

Kraftvolle Erzählstimmen

Schon nach den ersten Seiten von Euphoria wird klar, dass Lily King einen ganz besonderen Fokus auf ihren Erzählstil richtet, der sich immer wieder ändert und den Figuren eine kraftvolle Stimme verleiht. Unterschiedliche Erzählperspektiven spielen ineinander und der Leser wird immer wieder neu darauf gestoßen, aufzuhorchen, welche Stimme er gerade beim Lesen vernimmt. Nells geheime Tagebucheinträge und Banksons Ich-Perspektive gepaart mit einem auktorialen Erzähler ergänzen sich auf besondere Art und Weise.

Etwas Tragisches muss sich ereignet haben, doch der Leser weiß nicht was und so erlebt er Seite für Seite einen knisternden Spannungsbogen. Drei Menschen mit ähnlicher Gesinnung, ähnlichem kulturellen Hintergrund und einem Ziel treffen in der Wildnis aufeinander und doch ist jeder der Figuren ganz anders. Lily King unterstreicht diesen Unterschied durch die Familiengeschichten, die sie gekonnt in ihre Handlung einflicht, und verdeutlicht damit, dass die Vergangenheit großen Einfluss auf unseren Charakter und unser Handeln hat. Sie hebt hervor, wie umstritten das neue Forschungsfeld der Anthropologie in den Wissenschaften war und wie viel Mut, Durchhaltevermögen und auch Glück man haben musste, um diese Forschungen fernab der Zivilisation führen zu können. Euphoria ist auf allen Ebenen ein gelungener Roman, der von realen Ereignissen der Ethnologin Margaret Mead inspiriert wurde, und er begeistert nicht nur durch seinen Handlungsverlauf, sondern hat mich ebenso sprachlich wie stilistisch vollkommen überzeugt.

3 Kommentare

  1. Liebe Ramona,

    ich liebe ja Bücher über eine Zeit, in der Reisen und Ferne noch mehr als heute ein Abenteuer waren. Wenn sich dazu noch authentische Charaktere gesellen, kann eigentlich nichts mehr schief gehen.

    Bei meinem nächsten Besuch in der Buchhandlung werde ich nach Deiner Besprechung auf jeden Fall mehr als einen Blick riskieren! Danke fürs Aufmerksam-Machen!

    LG
    Stefan

  2. Liebe Ramona,

    das Buch klingt klasse. Einen guter Erzählstil macht für mich schon sehr viel aus und ich freue mich immer, wenn Bücher stilistisch und inhaltlich überzeugen können. Danke für den Buchtipp!

    Liebe Grüße
    Lisa

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert