Rezension | Matthias Oden: Junktown

Junktown von Markus Oden

Solomon Cain ist ein in die Jahre gekommener Inspektor der Geheimen Maschinenpolizei in Junktown. Seit der Revolution, bei der er einen entscheidenen Beitrag leistete, sind Jahrzehnte vergangen. Seither gibt es in Junktown nur noch ein Motto, nach dem alle Bewohner leben müssen: Konsum ist König und Drogen sind das neue In-Mittel, das jeder regierungstreue Bürger nutzen muss. Die Menschen werden schon seit langem nicht mehr geboren, sondern produziert, in riesigen Maschinen, den sogenannten Brutmüttern. Eine dieser Brutmütter wird ermordet und Solomon Cain stellt schnell fest, dass dies kein einfacher Mord war, sondern dass hinter dem Fall eine riesige Verschwörung steckt. Weitere damit zusammenhängende Morde ereignen sich in Junktown und Solomon Cain gerät ins Fadenkreuz der Drahtzieher …

Junktown  – ein Hort aus Müll, Drogen und Kontrolle

Überall in Junktown häuft sich der Müll in den Gärten der Häuser, denn Müll ist zu Statussymbol erhoben worden. Nur wer genügend Müll produziert, wird nicht verdächtigt. Viel Müll bedeutet viel Konsum und dies ist in der Konsumgesellschaft von Junktown oberste Priorität. Der Handel und Verkauf von Müll – denn mancher Müll ist hochwertiger als anderer – boomt. Doch auf den Straßen von Junktown sind nur wenige Menschen unterwegs, denn die meisten sind von den Drogen, die sie regelmäßig einnehmen müssen zu benebelt.

Monatlich muss sich jeder Bewohner einem Drogentest unterziehen, sodass festgestellt werden kann, ob er oder sie auch immer noch dem konsumgetrieben und drogenerhabenen Doktrin der Regierung folgen. Alkohol und Zigaretten  sind verbotene Drogen, da sie an die Zeit vor der Konsumrevolution erinnern und regimekritisches Gedankengut symbolisieren. Heroin und andere harte Drogen dagegen sind überall erhältlich. Das Gesundheitswesen ist das wichtigste Werkzeug der politischen Kontrolle gegen das sich die Bürger nicht wehren können.

Junktown – zu zahlst mit deinem Leben

Solomon Cain ist es Leid. Sein Leben hat schon seit langem keinen wirklichen Sinn mehr und er stürzt sich ein ums andere Mal in die Arbeit, um die Trostlosigkeit seines Daseins zu verdrängen. Vor einigen Jahren hat sich seine Ehefrau den goldenen Schuss gesetzt, hat damit ein Denkmal erhalten und Solomon Cain als direkter Verwandter erhält Sonderprivilegien. Doch die Regierung hat sein Treiben schon länger im Auge. Sie hat bemerkt, dass er – der einstige Revolutionär – nicht mehr der drogen- und konsumgetriebenen Regierung hörig ist. Bisher wurde dieser Unmut geduldet, doch damit ist es vorbei, als Solomon Cain den Fall der getöteten Brutmutter übernimmt.

Willkommen in der schönen neuen Welt à la Aldous Huxley

Die Welt hat sich gewandelt. Die Menschen sind in Humanklassen eingeteilt und werden auch demnach produziert. Die einen haben mehr Verstand, die anderen mehr Muskelkraft oder ein bestimmtes Talent. Jeder kann nur in diesem Rahmen seiner Entstehung existieren oder manchmal – in Ausnahmefällen – ein Upgrade erfahren, eine technische Operation. Solomon gehört zum Humanmaterial der Klasse Triple-A, was zwar nicht die höchste Klasse ist, aber gemeinsam mit seinem Revolutionsstatus und dem Hinterbliebenenstatus eines Goldenen Schützen kann er ganz gut leben. Wenn da nicht sein innerer Unmut gegen das System wäre.

Jeder, der sich etwas zu Schulden kommen lässt (abweichende Äußerungen oder zu wenig Drogenkonsum) wird in seiner Klasse im jährlichen Rating herabgestuft. Klasse D bedeutet Recyclinhof. Die organische Masse landet dann wiederum in den Brutmüttern, die auf bestimmte Zuchtprogramme programmiert werden. Brutmütter und andere KI-Maschinen sind höhere Maschinenwesen. Deshalb verfolgt Cain auch den Mord der Brutmutter BM17.

Junktown: ein dystopischer Krimi

“Junktown” hat mir auf mehreren Ebenen ausgesprochen gut gefallen. Zum einen selbstverständlich, weil es ein dystopischer Krimi ist und man mich inzwischen außerhalb des dystopischen Jugendroman mit allem kriegt, was Zukunftsvisionen enthält – sei es Sci-Fi oder eben auch ein Krimi. Matthias Oden hat eine wirklich faszinierende Welt (oder Stadt) aufgebaut, in welcher sich die moralische Ordnung vollkommen verdreht hat. Aus einer freiheitlich orientierten Revolution ist ein totalitäres System geworden. Die Menschen leben neben höheren Maschinenwesen und werden selbst mittels Genpool-Manipulation in Klassen eingeordnet, noch bevor sie geboren bzw. produziert werden.

Zwischen Mensch und Maschine

In Matthais Odens Krimi “Junktown” gibt es auch eine tragische Dreiecksbeziehung zwischen zwei Männern und der verstorbenen Brutmutter. Für mich ein ganz faszinierendes Konstrukt, denn eine Brutmutter ist eine riesige Maschine, die zur Produktion von Menschen hergestellt wird. Sie ist zugleich Produktionsmaschine und ebenfalls mit einer KI ausgestattet, die Gefühle hat.

Matthias Odens Erzählstil und die Geschichte selbst lässt Maschinen zu etwas Lebendigem werden. Der Tod (!) der Brutmutter wird durch eine höhere Polizeistelle untersucht und nicht von der BePo, der Bedarfspolizei, die niederen Delikten nachgehen und dementsprechend auch von niederen Humanklassen belegt ist.

Junktowns skurrile Figuren

Solomon Cain ist ein eher abgefuckter Held. Er muss ständig Drogen nehmen, um nicht aufzufallen und eigentlich hat er das Leben, das er führt so richtig satt. Doch sein detektivischer Instinkt, die Wahrheit herausfinden zu wollen, steckt immer noch in ihm. Er leidet hin und wieder an Selbstüberschätzung und nimmt sich vor seinen Kollegen zu viel raus. Er wird immer unvorsichtiger, was regimekritische Äußerungen anbelangt. Solomon Cain ist vom System niedergedrückt, am Rande der Selbstaufgabe, die auch mit seiner Vergangenheit und dem Freitod seiner Ehefrau zu tun hat.

Insgesamt wird “Junktown” von skurrilen Figuren bevölkert, die nicht alle menschlich sind. Jeder könnte ein regimetreuer Spitzel sein und hinter manchen Figuren steckt weit mehr, als man am Anfang vermutet. Gekonnt lässt Autor Matthias Oden in seinem Debütroman den Schein und das Sein miteinander spielen.

Eine rasante Verfolgungsjagd durch die düsteren Straßen Junktowns

Noch einmal besonders hervorheben muss ich Matthias Oden gelungen konstruierte dystopische Welt. Vor meinem inneren Auge konnte ich die heruntergekommen und düsteren Straßen Junktowns miterleben, die hohen Gedenksäulen der Goldenen Schützen, die Verzweiflung der Menschen und das sich selbst Aufgeben im permanenten Drogenkonsum. Skurril, chaotisch und – ja – auch merkwürdig ist diese Stadt, die funktioniert und den Mächtigen zuspielt, alle anderen aber in ihrem Drogenrausch in den Abgrund treibt. Wer nicht mehr funktioniert, wird aussortiert, recycelt und neue Arbeiter werden mit den notwendigen Fähigkeiten produziert.

Auch das Ende von “Junktown” passt ganz in das erschaffene Weltbild von Oden. Es ist radikal und schonungslos. Aber “Psst!”, mehr verrate ich selbstverständlich nicht. “Junktown” ist ein gelungenes Debüt, das verschlungen werden will, denn versteht man erst einmal die Grundlagen, welche die Stadt ausmachen – was nicht schwer ist – so hält auch Junktown für den Leser einen Sog bereit, beinahe so wie eine Droge, die man nicht mehr aufhören kann zu nehmen.

Bibliographische Angaben zum Buch:

Autor: Matthias Oden | Genre: Science Fiction | Reihe: – | Gattung: Roman | Verlag: Heyne ( 2017 ) | Medium: Broschiert | Seiten: 400

Weitere Rezensionen zu „Junktown“:

Das Bücherregal | Die Bücherkrähe | Bellas Wonderworld

6 Kommentare

  1. Deine Rezension hat mir das Buch nochmal ins Gedächtnis gerufen, das ich vor ca. einem Jahr gelesen habe. Ich war ähnlich begeistert wie Du. Angelockt hat mich der Krimiaspekt, aber die Welt, in der er spielt, ist schon sehr speziell, aber auch logisch und nachvollziehbar gut durchdacht.
    Ich würde mich freuen, wenn es noch weitere Bücher von dieser Qualität von Matthias Oden in Zukunft geben würde, denn Junktown war für mich eine echte Entdeckung des Jahres 2017!
    Libe #Litnetzwerk-Grüße
    Gabi

    1. Liebe Gabi,

      da kann ich dir nur voll und ganz zustimmen – ich schau gleich mal, ob es schon etwas Neues von Matthias Oden gibt, bzw. in Planung ist: “Die Krone der Elemente”, ein Fantasyroman. Das muss ich mir wohl nochmal genauer anschauen, denn Fantasy lese ich momentan recht wenig.

      Viele Grüße
      Ramona

  2. Prinzipiell stimm ich mit dir überein – gutes Buch 😉

    Aber auf manches von dem was du oben erwähnst (die Gesellschaft, die Mensch-Maschine-Beziehung) hätte im Roman meiner Meinung nach ausführlicher eingegangen werden sollen/müssen.
    Vor allem die Mensch-Maschine Beziehung – die Brutmutter ist ein 6-stöckiges Metallmonstrum und da gibt es eine “Beziehung” zu Menschen… irgenwie doch etwas schwer vorstellbar, vor allem weil es im ganzen Roman keine Maschinen mit Gefühlen gibt (die Protagonisten sind ja alles Menschen). Hier hätte ich mir etwas mehr Tiefe und Erklärung erhofft – aber trotzdem gutes Buch 😉

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