Rezension | Super, und dir? von Kathrin Weßling

Super, und dir? von Kathrin Weßling

Marlene Beckmann ist Anfang 30 und hat endlich ihren Traumjob als Community Managerin ergattern können. In einer großen erfolgreichen Firma beginnt sie ihr Volontariat. Sie sieht gut aus, ist schlank, hat einen Freund, der sie liebt. Ihr Leben könnte perfekt sein. Doch die Überstunden in der Firma und der Druck, der auf ihr und ihrer Mit-Volontärin lastet, ist groß, denn nur eine von beiden wird übernommen. Marlene nimmt Drogen, mal Ecstasy, mal Heroin – aber alles in Maßen und ganz kontrolliert. Bis diese Kontrolle immer weniger kontrolliert wird und Marlenes perfektes Bild nach außen und innen ins Wanken gerät.

Super, und dir? – Über die Macht des Scheins

Marlene weiß wie ihr Karriereweg aussehen soll und sie weiß, dass sie alles dafür geben will. Doch aus dem anstrengenden und fordernden Job wird bald ein sie alles vereinnahmender Job ohne Privatleben. Sie verliert den Kontakt zu Freunden, sie verliert den Kontakt zu ihrem Freund Jakob und ebenso zu ihrer Familie. Marlene ertrinkt in Arbeit, in Drogen und in dem Druck den Schein ihres Erfolges aufrecht erhalten zu müssen; keine Schwäche zeigen, keine Angst erkennen lassen, die sie heimlich beinahe auffrisst, und weshalb sie nur noch mehr Drogen nimmt – zur Beruhigung ihrer Gedanken, zum Pushen ihres Körpers.

Sie isst kaum noch, wird immer dünner und steht am Rande des Burnouts. Sie will keine Entscheidungen mehr treffen, sich am liebsten verkrümeln in ihrem Bett und das Leben an sich vorüberziehen lassen. Doch ihr Körper versagt nicht. Er zeigt zwar Ermüdungserscheinungen und Stressanzeichen, aber dennoch funktioniert er. Ausreden für ihren heimlichen Drogenkonsum findet sie schnell und die Menschen um sie herum, die sich sorgen, glauben ihr nur zu gerne: denn Marlene ist eine gesunde, junge Frau, Anfang 30 mit einem Job, einem Partner und einem großen Freundeskreis. Sie ist kein Junkie.

Alles was zählt ist nur der Schein. Das, was auf Facebook gepostet wird, wie das verschwitzte aber nachgeschminkte Gesicht als Facebookfoto, nach einem langen anstrengenden Arbeitstag; Und die Likes und die Bewunderung, die Marlene erhält, weil sie sich trotz langer Arbeitstage noch körperlich fit hält. Der Schein regiert aber auch Marlenes Denken seit ihrer Kindheit: niemals Schwäche zeigen, niemals irgendwem verraten, dass etwas nicht stimmt (wie die alkoholkranke geschiedene Mutter).

Super, und dir? – Eine ertrinkende junge Frau

Kathrin Weßlings Roman zu lesen, ist wie einem Auto dabei zuzuschauen, wie es gegen die Wand fährt und man als Beobachter weiß: Dieser Unfall ist nicht mehr abwendbar. So fühlt es sich an, wenn man die Geschichte um Marlene Beckmann liest, die immer tiefer in den Strudel aus gesellschaftlicher Funktionalität, den eigenen Erwartungen und überhöhten Anforderungen an Körper und Geist gerät.

Die Autorin beschreibt mit knallharten, ehrlichen Worten, wie eine junge Frau in der Schnelllebigkeit der Moderne, den endlosen Möglichkeiten und Freiheiten sich selbst verliert, sich selbst belügt und die von der Welt darin bestärkt wird, dass sie sich richtig verhält. “Super, und dir?” beschreibt den langsam Zerfall eines Menschen, der im Getriebe der modernen Arbeitswelt gefangen und nicht in der Lage ist, um Hilfe zu bitten. Der Schein der Perfektion wird aufrecht erhalten, obwohl der gesamte Mensch innerlich panisch nach Hilfe schreit.

Super, und dir?” ist ein Buch, das mich äußerst nachdenklich gestimmt hat. Ich bin ebenfalls Anfang 30 und habe meinen beruflichen Weg für mich gefunden, stehe aber auf jeder Ebene immer wieder vor Entscheidungen und dem Druck der eigenen (und fremden) Erwartungen. Was trennt mich von Marlene Beckmann und wie viele Marlene Beckmanns gibt es tatsächlich allein in meiner Lebenswelt, von denen ich nichts ahne, die innerlich schreien und äußerlich vor Perfektion glänzen? “Super, und dir?” ist ein aufrüttelnder Roman, der zu mehr Bewusstsein anhält – mit sich selbst und den Menschen um uns herum. Die Illusion sein Leben unter Kontrolle zu haben, bleibt doch nur Illusion.

Bibliographische Angaben zum Buch:

Autorin: Kathrin Weßling | Genre: Gegenwartsliteratur | Reihe: – | Gattung: Roman | Verlag: Ullstein fünf ( 2018 ) | Seiten: 255

Weitere Rezensionen zu “Super, und dir?”:

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3 Kommentare

  1. Das erschreckende an “Super und dir” ist ja, dass es einem wirklich den Spiegel vorhält. Gut. Minus die Drogen. Aber dieser Zwang, in den sozialen Netzwerken halbwegs perfekt, glücklich und sorglos sein zu müssen, das ständige Kontrolllieren, wie viele Likes ein Foto hat – da fühlt man sich schnell ertappt. Gerade deswegen gefällt mir Kathrin Wesslings Buch aber so wahnsinnig gut und ich freue mich schon, wenn bald wieder ein Buch von ihr erscheint.

    1. Liebe Marina,

      das stimmt! In manchen Augenblicken ist man leider selbst eine Marlene Beckmann und ich bin froh, dass das so krass nur in wenigen Momenten so war. Besonders krass fand ich die Social-Media-Fintessstudio-Momente. Hardcore… (also aus meiner kleinen Welt, anderes war natürlich noch viel krasser im Buch).

      Viele Grüße
      Ramona

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