[Rezension] Susann Rehlein: Die erstaunliche Wirkung von Glück

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Autorin: Susann Rehlein | Genre: Belletristik | Reihe: – | Gattung: Roman | Verlag: DuMont Buchverlag ( 2015 ) |  Seiten: 318 | Blogg dein Buch

Dorle ist Mitte zwanzig und lebt in einem Haus am Goetheplatz, das hauptsächlich von Rentnern bewohnt wird. In ihrer kleinen Souterrainwohnung hat sie alles, was sie benötigt und sie arbeitet von Zuhause aus, um möglichst wenig hinaus in die Welt zu müssen. Auf ihrer Tür steht Concierge, obwohl sie das eigentlich nicht ist. Dennoch nehmen die Bewohner des Hauses ihre Dienste unentgeltlich und manchmal arrogant in Anspruch. Dorle macht das nichts aus. Sie ist in ihrem Alltagstrott verhaftet, der so wenig wie möglich in der Gesellschaft anderer stattfindet. Das ändert sich als Frau Sonne, über 80 und Bewohnerin des Hauses, beschließt, dass jemand Dorle gewaltig in den Hintern treten sollte.

Dem helfen, der keine Hilfe will

Dorle hat sich arrangiert in ihrem Leben. Als Heimkind hat sie nie gelernt echte Beziehungen einzugehen und am liebsten ist sie doch auch allein. Joe Tornado, ihr Verehrer und der Mensch, dem sie ihren Heimarbeitsjob zu verdanken hat – nämlich das Verdrahten von Kristallen für Kronleuchter – ist für sie mehr ein Störfaktor mit seiner aufgekratzten, freudigen und kommunikativen Art und doch vermisst sie ihn, wenn er nicht da ist, zumindest ein kleines Bisschen. Auch zu den Bewohnern des Hauses hat Dorle ein zwiespältiges Verhältnis, denn diese nutzen ihre Höflichkeit für allerlei Gefälligkeiten aus, die sie ihr in keiner Weise entlohnen oder für die sie dankbar wären. Dorle lässt sich nach Strich und Faden ausnutzen, doch sie findet das eigentlich überhaupt nicht schlimm. Gebraucht zu werden macht sie zufrieden und so hat sie sich an ihren alltäglichen Trott gewöhnt.

Doch dann kommt Frau Sonne. Die muntere über 80-jährige Dame ist gar nicht damit zufrieden, was in ihrem Haus so abläuft. Sie will Dorles Helferkomplex den Garaus machen und sie aus ihrem Schneckenhaus herauslocken. Doch wie hilft man jemandem, der gar nicht sieht, dass er eigentlich Hilfe benötigt? Frau Sonne hat Unterstützung: die quirlig bunte Henriette Schräubchen mit den pinken Haaren nimmt kein Blatt vor den Mund und ist Dorle ein Dorn im Auge. Sympathisch sind sich die beiden nicht gerade, aber Dorle hat nur wenig Mitspracherecht, wenn es darum geht ihr Leben gehörig auf den Kopf zu stellen.

Ehe sie sich versieht, wohnt sie für drei Monate in der Residenz Sonne, kümmert sich nicht nur um die Wohnung, sondern auch um den flauschigen aber eigensinnigen Kater Gangster. Via Faxgerät schickt Frau Sonne an Dorle schier „außergewöhnliche“ Aufgaben. So unternimmt sie Ausflüge in die feindliche Welt draußen, geht ins Fitnessstudio, ins Altenheim, besucht das Café neben an und lässt sich bei einer Massage ordentlich durchkneten – und das obwohl Dorle Berührungen eigentlich gar nicht ausstehen kann. Plötzlich findet sie Freunde oder zumindest Menschen, mit denen sie reden kann, denen sie sich anvertraut und die ihre Lebensweisheiten mit ihr teilen.

Eine Portion Glück bitte

Dorle war zufrieden. Sie lebte mit ihren Ängsten und hatte sich in ihrem Leben eingerichtet, doch als sie plötzlich aus ihrer dunklen und beengten Kellerwohnung hinauf in Frau Sonnes abenteuerliche und große Wohnung zieht, merkt sie langsam, wie viel ihr im Leben eigentlich fehlt. Dorle war immer auf sich allein gestellt, hat sich von anderen abgeschottet und ihr Ding durchgezogen. Auch wenn dieses „Ding“ meistens zu ihren Lasten ging, sie heruntergesetzt hat ohne, dass sie es tatsächlich bemerkt hätte. Eine Portion Glück erhält sie nun von einer alten Dame, die sie kaum kennt, und dieses Glück nistet sich gemächlich zwischen Dorles Nervenbahnen ein, sie wacht auf, wird offener und meistert die ihr gestellten Aufgaben so gut es geht.

„Die erstaunliche Wirkung von Glück“ ist ein putziges und unterhaltsames Buch über die Macht der Freundschaft und den Wert von Menschen, die einen schätzen und manchmal auch einen Schubs in die richtige Richtung geben. Und dennoch lässt mich das Buch mit einem leicht bitteren Beigeschmack zurück, was an unterschiedlichen Punkten liegt.

Erstens der Verlauf der Geschichte, der mir vermittelt hat, dass das Glück nur dann zu finden ist, wenn du einen reichen Gönner hast, der sich für dich einsetzt und dir Dinge ermöglicht, die du aus eigener, vielleicht auch finanzieller, Kraft nicht schaffen kannst. Möglicherweise sehe ich das Ganze zu engmaschig, denn Dorle erlebt beim Sonne’schen Abenteuer auch Dinge, die man ohne großes Gehalt in die Tat umsetzen kann. Und auch Geld spielt keine große Rolle in diesem Roman und dennoch hat mich die Konstruktion der gesamten Story darauf aufmerksam gemacht: Dorle zieht in eine große Wohnung, ihren Job muss sie nicht wirklich weiterführen, da sie fürs Wohnungssitten bezahlt wird, und kann dann all die Dinge machen, die sie zwar nicht gerne tut, die ihr aber dabei helfen, ein neues Leben zu erschließen. Die Autorin Susann Rehlein hat am Ende ihres Buches dann durchaus den Dreh hinbekommen, der das alles im rechten Licht erscheinen lässt, während des Lesens habe ich mich aber doch immer fragen müssen, weshalb das nötig, oder ob es nur so möglich ist, aus einem grauen Alltag herauszufinden; für jemanden wie Dorle könnte dies wahrlich die einzige Option sein.

Zweitens gibt es eine Erzählerfigur, die sich hin und wieder direkt an den Leser wendet und erklärt, was gerade in der Geschichte vor sich geht. Diesen Stil fand ich durchaus interessant, hat sich für mich aber letztendlich als purer Erklärbär herausgestellt, den ich als Leser nicht gebraucht hätte, der eher störend in die Geschichte eingreift. Denn ich verstehe die Geschichte und deren Verlauf und die kleinen und großen Handlungen der Figuren und benötige keine Interpretationshilfe, auch wenn sich diese auf ein paar wenige Seiten im Buch beschränkt.

Und drittens die Figuren: Dorle sticht aus der Masse heraus und Rehlein schafft es ihr einen überzeugenden Charakter zu verleihen. Doch einige andere, durchaus wichtige, Figuren bleiben blasse Stimmen am Rande und lassen sich nicht richtig fassen. Das mag daran liegen, dass Dorle die Menschen meidet, auch wenn sie diese nicht daran hintern kann, sich ihr zu nähern. Neben ihr stechen noch besonders Herr von Stottow, ein älterer Herr, dem Dorle unter die Arme greift, und der kleine Kasimir, dessen Eltern keine Zeit für ihn haben, hervor. Die tatsächlichen Nebenfiguren sind mir dabei noch mehr ans Herz gewachsen als die beiden Figuren, die doch wichtige Rollen im Buch einnehmen: Henriette Schräubchen und Joe Tornado blieben mir zu farblos, obwohl sie das genaue Gegenteil repräsentieren: pure Lebensfreude und Charisma.

Auch wenn ich hier und da an „Die erstaunliche Wirkung von Glück“ rumgemäkelt habe, so ist es doch ein unterhaltsames Buch, das sich gut für Zwischendurch eignet. Mich konnte es letztendlich nicht voll überzeugen, aber es hat auch mir vermittelt, dass schon eine kleine Portion Glück, die Hand eines lieben Menschen auf der Schulter oder ein gutgemeinter Ratschlag, ganz große Wirkung haben können; und bei besonders schweren Fällen, müssen eben harte Geschütze aufgefahren und jede Menge Notlüge ausgenutzt werden, um das Glück hervorzulocken.

Ein Kommentar

  1. Tolle Rezension! Es ist wirklich Geschmackssache, wenn der Erzähler die vierte Wand durchbricht. Das könnte mich auch etwas nerven ^^ Bei dem Buch fand ich das Cover so cool, dass ich Angst hatte dass es vielleicht meine Erwartungen nicht erfüllt wenn ich schnappe. Aber deine Rezension klingt so ausgewogen, dass ich jetzt realistisch einschätzen kann was mich erwartet.

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