Details:
Originaltitel: No et Moi
Autor: Delphine de Vigan
Genre: Romane und Erzählungen
Reihe: –
Gattung: Roman
Verlag: Knaur ( 2010 )
Seiten: 251
Inhalt:
Eines Tages trifft die intelligente 13-jährige Lou auf die 18 Jahre alte No. Beide Mädchen könnten nicht unterschiedlicher sein, denn Lou wächst bei ihren Eltern auf, No hingegen lebt auf der Straße. Was als zufällige Begegnung beginnt, führt dazu, dass die kleine Lou sich für das Leben der 18-Jährigen interessiert. Sie beschließt No zu helfen, doch das ist einfacher gesagt, als getan …
Meinung:
Lou Bertignac ist dreizehn Jahre alt und geht schon in die zehnte Klasse. Sie ist sehr intelligent und hat deshalb zwei Klassen übersprungen, ist 30 Zentimeter kleiner als ihre Klassenkameraden und fühlt sich deshalb als Außenseiterin. Sie versucht sich unsichtbar zu machen und kann mit niemanden wirklich reden. Von ihrer Klasse wird sie nur „das Hirn“ genannt.
Gerade deshalb hasst sie wohl Referate und als das Unausweichliche bevorsteht, entschließt sie sich über junge Frauen, die auf der Straßen leben, zu berichten – ein Thema, das ihr in ihrer Aufregung spontan eingefallen ist. Lous Begabung ist es, die Gefühle von Menschen erraten zu können und so liebt sie es auf dem Bahnhof zu stehen und zu beobachten: das gespannte Warten auf die Ankunft eines neuen Zuges oder der Abschied von geliebten Menschen. Durch Zufall begegnet sie eines Tages No, einem 18-jährigen Mädchen, das auf der Straße lebt, und kann sie überzeugen, ihr etwas von sich und ihrem Leben zu erzählen. Aber für Lou entwickelt sich mehr aus der Begegnung. Sie möchte No helfen, ihr ein Zuhause geben, sie nicht nur bedauern, sondern ihren Worten auch Taten folgen lassen.
Von diesem Zeitpunkt an verändert sich Lous gesamtes Leben. Die Konfrontation mit No, die vom Leben abgehärtet ist, exzessiv trinkt und die innerlich doch einsam und zerbrechlich ist, eröffnet der 13-Jährigen eine Perspektive auf das Leben, die sie erschreckt. Lou hat keine Angst mehr vor dem Referat, diese Furcht hat sich in eine namenlose Angst verwandelt und der Frage, ob jeder Einzelne ein so kleines Licht ist, dass er verschwindet, dass die Welt sich einfach so weiterdreht, wenn ein junges Mädchen auf der Straße landet, ohne Wohnort, ohne Platz zum Schlafen.
No & ich ist ein Buch, das vor allem durch seine Figuren besticht. Lou ist ein bemerkenswertes junges Mädchen. Sie hegt große Selbstzweifel, obwohl sie sehr intelligent ist, fühlt sie sich von ihren älteren Klassenkameraden eingeschüchtert. Sie hat einen Jungen, Lucas, sehr gerne, doch traut sich nicht so richtig ihm das auch zu zeigen. Aber er mag sie und im Gegensatz zu Lou zeigt er ihr das auch und wird damit zu einem Freund, der ihr in jeder Situation zur Seite steht.
Die Sprache, welche die Autorin verwendet, ist vor allem bei Lou teilweise distanziert. Sie hat einen – wie soll ich sagen – objektiven Blick auf die Welt. Versucht alles zu beschreiben, aber immer mit einer gewissen Distanz zu den Dingen. So als würde sie wollen, dass nichts zu nah an sie herankommt und sie berührt. Diese Distanz kommt vielleicht von ihrer Mutter, die kaum noch die Wohnung verlässt und in ihrer eigenen Welt lebt, seit Lous kleiner Bruder als Baby gestorben ist.
Aber trotz dieser Distanziertheit berührt Delphine de Vigans Buch. Es führt dazu, dass man nachdenkt, dass man sich fragt, ob nicht aus Kinderaugen, die Welt und ihre Probleme viel einfacher zu lösen wären. Hinter Nos Charakter blickt man nur schwer, denn niemand, der es nicht selbst erlebt hat, kann sich vorstellen, was es bedeutet auf der Straße zu leben, ohne Schutz, ohne Familie, den ständigen Blicken fremder Menschen ausgesetzt zu sein. Umso mehr berührt es, wie ein 13-jähriges Mädchen sich für jemanden einsetzt, den sie eigentlich gar nicht wirklich kenn.
Wenn jeder von uns einen Obdachlosen aufnähme, wenn sich jeder um einen Menschen, einen einzigen, kümmern würde, ihm helfen und für ihn da sein würde, überlege ich, dann gäbe es vielleicht weniger auf der Straße. Mein Vater antwortete mir, das sei nicht möglich. Alles ist immer komplizierter, als man auf den ersten Blick meint. Die Dinge sind, wie sie sind, und gegen viele kann man nichts tun. Wahrscheinlich ist es das, was man akzeptieren muss, um erwachsen zu werden. (S.80/81)
Fazit:
Delphine de Vigans Roman ist ein Buch über das Leben und darüber, ob man Dinge als gegeben hinnehmen muss oder ob es möglich ist, etwas dagegen zu tun. Ob es sich lohnt, seine Kraft einzusetzen, um die Welt ein Stück besser zu machen. Lou ist eine tolle Figur, sie beobachtet die Welt um sich herum mit Kinderaugen und erschließt doch mit ihrer Intelligenz faszinierende Zusammenhänge. Sie will die Welt verändern, auch wenn diese Veränderung vielleicht im Rad der Zeit kaum auffallen würde. Sie will nicht akzeptieren, dass sich etwas nicht ändern lässt, nur weil es außerhalb der gängigen Konventionen liegt.
Daher gibt es von mir 5 von 5 möglichen Sternen.
Bloggt seit 2008 | Liebt es zu schreiben, zu lesen und endlose Gespräche über Bücher zu führen | Ist ständig auf der Suche nach Geschichten — in Büchern, Spielen, Filmen & TV-Serien — im Leben.
Danke für die tolle Rezension! Das Buch steht schon länger auf meiner Wunschliste und jetzt freue ich mich umso mehr darauf, es zu lesen :hihi:
Viele Grüße!
Eine sehr schöne Rezension liebe Kari!! :zweidaumen:
Das Buch klingt auch weiterhin interessant und wird wohl auf den Wunschzettel kommen…Oder irgendwann einmal gekauft, denn ich sehe gerade, dass es ja sehr günstig ist.
Bin mal gespannt ob dir das andere Buch der Autorin auch noch so gefallen wird.
Oh, das ist auch ein schönes Zitat, was du rausgesucht hast.
Ich hab in meiner Rezi ein ganz langweiliges, was irgendwie jeder immer erwähnt. Ich kriegs nicht mehr aus dem Kopf zusammen, aber vom Sinn her: Wir können Überschallflugzeuge und sämtliche andere Technologie entwickeln, aber wir sind nicht fähig, die Srmut zu bekämpfen.
Aber gerade der Part mit dem Erwachsenwerden gefällt mir in deinem Zitat sehr gut.